Über Thomas Bauer: „Die Vereindeutigung der Welt“
Was haben das Verschwinden von Apfelsorten, das Auftreten von Politikern in Talkshows, religiöser Fundamentalismus und der Kunst- und Musikmarkt miteinander gemeinsam? Überall wird Vielfalt reduziert, Unerwartetes und Unangepasstes zurückgedrängt. An die Stelle des eigentümlichen Inhalts rückt vermeintliche Authentizität: Nicht mehr das »was« zählt, sondern nur noch das »wie«. Die Fähigkeit zur Ambiguitätstoleranz – Uneindeutigkeit und Widersprüchlichkeit auszuhalten – nimmt in den westlichen Gesellschaften rapide ab. Thomas Bauer zeigt die Konsequenzen auf, sollten wir diesen fatalen Weg des Verlustes von Vielfalt weiter beschreiten.
(Klappentext)
„Die Vereindeutigung der Welt“ von Thomas Bauer ist ein Essay, der auf wenigen Seiten sehr viel Denkstoff liefert. Er ist eine Warnung, aber auch Einladung, eine eigene Haltung zur Komplexität der Welt zu finden.
Lesenswertes Interview mit Thomas Bauer im Tagesspiegel
Artikel von Tina Uebel: Der große Verlust (Um den Artikel lesen zu können, reicht es, sich auf ZEIT Online zu registrieren, d.h. man muss kein Abonnent sein!)
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24. Februar 2019 um 19:07
Wow, das muss ich noch 4 mal hören, um alles mitzubekommen! Wie immer super dicht, trotzdem gut zu folgen und mega spannend! Tolle Bögen zu aktuellen Ereignissen und Zusammenhänge, die ich nicht sofort erkannt hätte.
DANKESCHÖN!
25. Februar 2019 um 15:55
Ich empfehle zum Verständnis die Lektüre des Büchleins! Kostet als Taschenbuch gerade mal 6 Euro und es lohnt sich, zumal Sachen drin stehen, die ich im Rahmen der Folge nicht behandelt habe. Mit anderen Worten: Der Podcast kann das Buch nicht ersetzen! Er kann aber den Zugang dazu erleichtern.
:-)
26. Februar 2019 um 19:42
…und gekauft. Die Buchhandlung meines Vertrauens hatte es sogar direkt da, jetzt wird gelesen =)
27. Februar 2019 um 03:13
auch gekauft. Bewegt mich. Skepsis, Zustimmung, Ratlosigkeit, Zweifel, Zwerchfellkitzeln, Ärger, die Filterblase platzt, so soll das sein.
7. März 2019 um 12:56
Die Folge fesselt mich gerade.
Danke
Das Buch kaufe ich mir.
25. Februar 2019 um 22:52
So sehr ich deinem Aufruf zum Training der Ambiguität beipflichte, fürchte ich, dass du bei deinen Hörern offene Türen einrennst. Wer dich hört, wird vermutlich schon sehr geübt sein.
Das schwerer, aber ich denke wichtigere, dürfte es seine Mitmenschen anzuleiten und ihnen den Schrecken zu nehmen. Platt gesagt: raus aus den Elfenbeinturm und runter auf die Bäume. (Gerne auch klein anfangen)
Als professioneller Softwaretester ist Zweifel einer meine Hauptfähigkeiten, so wie ein ständiges Jonglieren mehrerer möglicher theoretischer Zustände.
Die Abnahme an Vielfältigkeit mag auch mit den technischen Entwicklungen und gesteigerten Komplexität des Umfelds zu tun haben. Wenn dann auch noch wirtschaftlicher Druck dazu kommt, bzw. die Angst vor Verlust… Dann flüchtet man gerne in einfache, weniger anstrengende Schemata.
Nach dem ich Kapitalismus (er ist nur EINE Form von Markt und Geld, nicht DIE) und Sozialismus nicht als Dichotomie sehe, gibt es hier einige Details ich für relevant halte. Als Teil eines größeren, wie auch bei der Demokratie, gibt es hier emergente Effekte die über bloßes Geld in der Hand hinaus gehen.
Schon unsere jetziges Geld ist nicht neutral, es funktioniert zum Nachteil der Massen. Es untergräbt Leistung.
Stichwort Umlaufsicherung “Taler, du musst Wandern”.
Bitte weiter so!
27. Februar 2019 um 09:44
Das “preaching to the converted”-Argument ist zwar oft angebracht, aber gerade hier nicht. Die erschütterndste Erkenntnis war für mich die, dass wir gerade als Menschen, die sich selbst als reflektiert und kritisch betrachten, Gefahr laufen, die Wachheit des Hinterfragenwollens gegen einen Dämmerzustand der Bestätigung durch Konsuminhalte einzutauschen. Hierzu ein Zitat aus Bauers Essay: “(…) Deshalb ist auch Kunst, die auf den ersten Blick kritisch, gar kapitalismuskritisch zu sein scheint, letztlich doch nur affirmativ, nämlich dann, wenn sie den Authentizitätsdiskurs bedient.”
Mit anderen Worten: Die Netflix-Serie, die sich mit Philosophie-Zitaten schmückt, um mir zu gefallen, trägt nicht dazu bei, die Gesellschaft zu verändern, sondern allenfalls dazu, die innere Unruhe zu beseitigen, die so wichtig ist für kritisches Denken und bewusstes Handeln. Da Konsuminhalte (Serien, Musik) immer stärker auf differenzierte Zielgruppen abzielen, auch auf die Zielgruppe der “Skeptiker”, ist gerade unter den Konvertierten besondere Vorsicht geboten.
Dass Wissenschaft runter vom Elfenbeinturm muss, rein in die Gesellschaft, dem stimme ich zu – die Frage ist, wie sich das machen lässt, ohne den Menschen ein falsches Bild der Wissenschaft zu vermitteln, z.B. dass eigentlich alles ganz einfach ist oder dass Wissenschaft eindeutige Antworten auf komplexe Fragen produzieren müsse.
27. Februar 2019 um 12:07
Zumindest ich nehme die Gefahr des Dämmerzustandes der Bestätigung schon länger war und habe das wohl implizit vorausgesetzt.
Gut, dass du es nochmal ansprichst.
Es ist einfach gemütlich zu sagen ‘Ich schaue hier eine gesellschaftskritische Serie, damit … (tu ich doch genügend?) ‘. Reicht aber nicht, das beste sind konkrete Aktionen und Gespräch mit Mitmenschen.
Mich lassen die diversen Medieninhalte mittlerer Weile mit einer Leere zurück.
Platt gesagt meine ich mit dem Runterkommen aus dem Elfenbeinturm, dass ‘einfach’ jeder (deiner Hörer) zu seinem Mitmenschen geht und über ihre Sorgen spricht und sie in der Ambiguität anleitet. Zu dem Verwandten oder Bekannten gehen, bei dessen Aussagen man immer mit den mit den Augen rollte (und sich dachte: ‘das hätte so auch von der AfD sein können’). Die bekannten Menschen im persönlichen Umfeld.
Hier sind zwar auch die konkreten Wissenschaftler bzw. Künstler gefordert mit guten Beispiel voran zu gehen, in starken Maße vernachlässigt halte ich aber hier die ‘laienhaft’ Interessierten – die Masse. Als eine Art implizites Ehrenamt. Das schwere ‘Was soll ich als einzelner bewirken?’ funktioniert wenn es viel tun.
Letztlich sehe ich hier Sorgen und Ängste von Mensch. Und nur wer (relativ) frei davon ist kann sich Ambiguität leisten.
Ich meine in der Folge bei dir eine gewisse Überdrüssigkeit der Kapitalismus-Argumentation vernommen zu haben. Das würde mich interessieren. Wie ist dem so?
28. Februar 2019 um 09:35
Volle Zustimmung, was die (liebevolle) Verständigung mit den Mitmenschen angeht! Die auszuhaltende Ambiguität liegt auch darin, dass das, was verbal kommuniziert wird, häufig gar nicht so eindeutig das Innenleben des Sprechers spiegelt, sondern auf ein Gefühl, eine Angst, eine Sorge, einen Mangel, ein Bedürfnis verweist, das sich nicht anders Ausdruck verschaffen kann. Es ist eine emotionale und intellektuelle Herausforderung, nicht auf die Aussage selbst zu reagieren, sondern sich mit dem Menschen hinter der Aussage auseinander zu setzen. Ich habe allerhöchsten Respekt für alle, die das können.
Der Kapitalismuskritik werde ich nie überdrüssig, ich find’s bloß wichtig, sich auch die eigene Rolle darin bewusst zu machen. “Das System” läuft nicht, weil eine höhere Macht es installiert hat, sondern weil wir es für alternativlos halten.
26. Februar 2019 um 13:07
Nachdem ich mich mittlerweile an den Jahresrythmus von „In trockenen Büchern“ gewöhnt habe, war es fast ein Schock, als diese Folge in meinen Potcatcher flatterte. Zumal mein Hirn die letzte Folge über Bedeutungslosigkeit erst halb verdaut hatte. Trotzdem stürzte ich mich natürlich auf sie wie ein Instagrammlet auf die Smoothie Bowl.
Obwohl dieses geistige Feuerwerk von meinen Synapsen viele „“s und „“s erntete, hinterlies es mich dann doch mit gemischten Gefühlen. Durchaus passend zum Thema.
Kann gut sein, dass die kulturelle Vielfalt früher größer war. Aber ich vermute, sie wurde weniger durchmischt. Mit der Brille des Exotismus konnte man toleranter auf andere Sitten und Bräuche schauen, aber es hatte wenig mit einem Selbst zu tun. Es war weniger strittig „wo man hingehörte“.
Während der zeitgenössische Identitätssucher ständig abgleichen muss, welche tibetische Meditationsmethode den jetzt zu ihm passt und ob die Jeansmarke, die er trägt, eigentlich noch mit seinen Werten übereinstimmt.
Ich hab auch nicht das Gefühl, dass es weniger Kunst gibt, die aus einer Notwendigkeit sich auszudrücken, entsteht. Ich habe eher den Eindruck, dass sie von dem beliebigen, kommerziellen Zeug überstrahlt wird, und man etwas tiefer Graben muss. In diesem Zusammenhang hat mich die Formulierung: „Erinnert Ihr Euch noch an Arte?“ irritiert. Arte ist ja nicht verschwunden und die Arte Mediathek bietet immer noch einen reichhaltigen Videosalat. Oder bist Du der Meinung dass der Sender signifikant schlechter geworden ist?
1. März 2019 um 18:28
Du triffst den Nagel auf den Kopf! Das ist auch die Kritik, die ich an Bauers Thesen habe (auch wenn ich einsehe, dass er diese Überspitzung fürs Argument braucht und sein Essay sehr viel von seiner Kraft verlieren würde, wenn er von Relativierungen durchsetzt wäre): Es ist nicht so, dass es wirklich weniger gute Kunst gäbe oder gar weniger Vielfalt, aber die Bereitschaft, tiefer zu graben, sinkt. Genauso meinte ich auch meinen arte-Kommentar. Früher wurde, wenn man Bock auf was Interessantes hatte, einfach arte geschaut. Heute verbindet man “Schauen” so sehr mit dem Serien-Silo Netflix, dass man darüber das klassische Fernsehprogramm glatt vergisst. So ist es mir ergangen: Wozu soll ich in der kostenlosen arte-Mediathek wühlen, wenn ich auch Gebrauch von meinem bezahlten Streaming-Abo machen kann? “Man” meint natürlich mich und alle aus der Filterbubble, “normale” Menschen schauen ja weiterhin normal fern. :-7
27. Februar 2019 um 13:52
Hab mir, weil es von einer Freundin empfohlen wurde, vor zwei Wochen das Buch gekauft, weil es sowas von mein Thema ist. Dann kam die aktuelle Folge in trockenen Büchern wie bestellt! Deine Podcasts sind übrigens die einzigen, die ich auf 1-facher Geschwindigkeit höre und nicht schneller als alle anderen, weil die Dichte, die du auffährst extrem hoch ist und selbst die eingestreuten Beispiele aus deinem Leben sehr gut zur Erklärung beitragen und sehr wohl dosiert sind. Von mir gibts dafür Standing Ovations!
Zu deinem Joghurt Beispiel ist mir ein Kunstwerk zum Thema Vielfalt eingefallen. Ein Künstler hat die Böden von Joghurtbechern abgeschnitten, nach Größe und Form sortiert, in Form einer Matrix auf einer Sperrholzplatte arrangiert. Man hat damit den Blick auf ein Joghurtregal von unten – der Titel war, glaube ich “Produktvielfalt”. Damit wurde auch dem Laien deutlich, dass die Vielfalt, die uns der Kapitalismus beschert eigentlich nur eine Scheinvielfalt ist. Ja, es ist eher aus der Kategorie Holzhammer, aber ich fand es super. Prinzipiell ist es das gleiche wie dieser Instagramaccount, der die immer gleichen Instagrambilder (Kanufahrer von hinten am Fluss vor Berglandschaft, Foto aus Zelt mit Blick auf “unberührte Natur”) nebeneinandersetzt und gruppiert.
Das Paradise Lost Phänomen war übrigens auch bei uns in der Clique ein Thema: “eigentlich gabs ja nach Icon kein nennenswertes Album mehr, weil sie sich dann dem Kommerz hingegeben haben”. Ich habe an mir beobachtet, dass ich aus dieser Denke herausgewachsen bin. Viele Leute, die ich noch aus dieser Zeit kenne, sind aber darin hängen geblieben. Sie mögen immer noch die gleiche Art der Musik, die gleichen Serien und die gleichen Filme. Sie sind nicht grundsätzlich verschlossen für Neues, sie “trauen” sich nur nicht, bzw. haben es einfach nicht gelernt damit umzugehen. Wenn man sie führt oder begleitet ist die Sache ganz anders.
In den 90ern war “Cocooning” als Trend in aller Munde; das gezielte Zurückziehen ins Privatleben bzw. Rückzug in die individuelle Wohlfühlbubble. Ich glaube, dass damals das Gerede von dem Phänomen eine Art Selbsterfüllende Prophezeihung geworden ist. Die Produkte, Werbung, etc. wurden gemäß des Trends angepasst und haben ihn so unterstützt. Als Folge musste man sich immer weniger mit Vielfalt auseinandersetzen, bzw. verwechselt die diversifizierten varianten der gleichen Sache mit Vielfalt und hat somit verlernt damit umzugehen.
Dieser Rückzug ins Private hat auch dazu geführt, weniger mit Konflikten, Misserfolg und Scheitern klarzukommen. Das alles ist unangenehm und nicht erwünscht, deshalb gibt es immer mehr Produkte, die Misserfolg geradezu unmöglich machen, die Kreativität simulieren und dabei Misserfolg ausschließen. Man kann Bastelutensilien kaufen, die weitestgehend fertig sind, man kann Bilder malen in denen Flächen und Farben vorgegeben sind. Hier unterscheiden sich die Resultate nur noch in Nuancen.
Etwas einfach mal auszuprobieren und zu scheitern ist unangenehm, erfordert Überwindung und Durchhaltevermögen. Darauf muss man sich einlassen. In meiner Jugend war das noch OK. Heute erlebe ich es oft, dass ich, wenn ich etwas neues ausprobiere erstmal Skepsis ernte und mir bei ersten Versuchen auch Häme entgegenschlägt, wenns nicht so läuft. Wenn etwas rauskommt, was gefällt gibt es dafür Applaus. Dabei wird aber vollkommen ausgeblendet, dass das Ergebnis ein Resultat aus vielen Fehlversuchen war. Der Prozess ist egal, was interessiert ist die Abkürzung, wie man zum “Endprodukt” kommt. Ich vertrete deshalb die These, dass es auch deshalb immer weniger Vielfalt gibt, weil Misserfolg und Scheitern in der Öffentlichkeit entweder nicht stattfindet bzw. geächtet ist. Um sich dem Scheitern zu entziehen greift man besser auf erfolgsbewährte Rezepte zurück, mit leichten Lifestyle-Variationen.
Ich versuche deshalb mein Umfeld dahingehend zu sensibilisieren auch mal was auszuprobieren, was auf den ersten Blick nicht gefällt. Einfach mal nicht in den neuen Marvel Film gehen sondern auch mal was anderes, möglicherweise experimentelles anschauen, mit der Option, dass einem das nicht gefällt, mit anschließendem Austausch am besten mit jemandem, der das toll fand.
Hab aus der aktuellen Folge auf alle Fälle viel Input bekommen. Werde das Buch zuende lesen und die aktuelle Folge nochmal anhören. Habe einen kleinen Vortrag dazu geplant und würde gerne Teile deines Podcasts zitieren, weil du das Thema echt super zusammengefasst hast. Ist das OK? Du wirst auf alle Fälle als Quelle genannt.
PS: Musste beim Hören der Folge an Momo denken, vor Allem an die Stelle mit der perfekten Puppe.
1. März 2019 um 18:41
Danke für die motivierenden Worte!
Eine Freundin von mir ist Grundschullehrerin und verzweifelt an ihrer vierten Klasse. Den Kindern mangele es im Kunstunterricht an Kreativität. An der Aufgabe, verschiedene Formen zu neuen Gebilden zu arrangieren, sind nahezu alle gescheitert. Sie führt es darauf zurück, dass heutzutage alles “fertig” daherkommt. Selbst Lego-Steine, einst das kreativste Spielzeug überhaupt, gibt’s nur noch mit “Script”. Es wird nicht mehr gebastelt, nichts mehr gefordert, alles soll eindeutig bedienbar sein. Scheitern ist nich vorgesehen. Und wenn die Angst, Fehler zu machen auf das Kreativitätsimperativ der Zeit trifft, kommen eben solche Sachen raus wie Schriften zum Appausen und Scheiß zum Zusammenstecken.
Noch eine Anmerkung zu den Freunden, die nichts mehr ausprobieren… Es könnte auch was mit dem Altern zu tun haben. Wie siehst du das? Mir taugt es als Erklärung für meine abnehmende Offenheit GAR NICHT, ich schiebe es lieber auf gesellschaftliche Missstände, aber es klingt auch plausibel.
7. März 2019 um 13:14
Ich kann dich beruhigen, denn ich glaube nicht, dass es am Altern liegt. Zumindest gibt meine Bubble das nicht her.
Ich bin mit dem Alter deutlich offener geworden. Habe mit der Zeit auch viel öfter die Möglichkeit gehabt und auch genutzt, mich mit Dingen zu konfrontieren, die mir erstmal suspekt waren – nicht selten war das unfreiwillig im beruflichen Kontext oder durch meine Frau. Habe dabei gemerkt, dass es wesentlich angenehmer ist, wenn man dabei geführt bzw. begleitet wird; mindestens bis zu dem Punkt ab dem es nicht mehr unangenehm ist. Das ist das, was ich an mir und anderen beobachte.
Durch den Rückzug ins Private bzw. ins an die ans eigene Ego angepasste Umgebung und die Ausrichtung der Welt die diesen Prozess begünstigt (man muss nicht mehr mit anderen Menschen interagieren, wenn man nicht will!) ist dieses Ausgesetzt sein nicht mehr die Regel. Es gibt für alles Convenience Produkte. Alles ist mit wenig Interaktion bequem konsumierbar; das geht bis zur Partnersuche – ich will das nicht werten, es ist einfach nur anders. Die Folge ist aber, dass man immer weniger der Ambiguität ausgesetzt ist und man verlernt damit umzugehen. Es ist nichts was wir bewusst machen. Es ist die Folge der Umstände.
27. Februar 2019 um 16:58
Liebe Alexandra,
jedes Jahr freue ich mich auf die neue Folge.
Jetzt ist wirklich Frühling.
28. Februar 2019 um 00:23
Schöne Folge!
Dieser NYT-Artikel ist fast zeitgleich erschienen, hat mich sehr an den Anfang (mit der Diskussion um Netflix) erinnert: https://www.nytimes.com/2019/02/22/opinion/sunday/netflix-oscars.html
28. Februar 2019 um 10:06
Jaaaa, schöner Gedanke! Die Welt wächst zusammen und freiheitliche Werte werden siegen. Und alles dank Popkultur! Durchaus diskussionswürdig, unter welchen Bedingungen diese Utopie verwirklicht werden könnte.
Weitere Fragen, die sich mir stellen:
Hölzerne Dialoge sind ein Charakteristikum deutscher Krimis. Wenn jetzt deutsche Serien auf HBO-Niveau produziert werden, verlieren sie dann eine Eigenheit, die bewahrenswert gewesen wäre?
In ausländischen Filmen, die in Polen laufen, gibt es keine Synchronisation, sondern ein Lektor spricht alle Rollen, die Originalspur läuft etwas leiser mit. Das war etwas, das Touristen als wahnsinnig amüsanten Eindruck mit nach Hause nehmen konnten. Ist es ein kultureller Verlust, wenn ausländische Filme nun alle professionell synchronisiert werden?
Es ist völlig normal und der Lauf der Geschichte, dass alte Dinge von neuen (besseren) Dingen abgelöst werden. Dass es das Waschbrett nicht mehr gibt, nehmen wir nicht als Verlust wahr. Es ist auch nicht aus der Welt, wir können es immer noch im Freilichtmuseum sehen. Warum können wir es dort sehen? Weil Menschen den Artefakten ihrer Kultur eine Bedeutung beimessen. Noch. Ich glaube tatsächlich, dass der größte Verlust, der, vor dem wir uns fürchten sollten, der Verlust der Bedeutung ist. Es hilft nichts, die ganze Welt in Reichweite zu haben, wenn alles mir gleich viel oder gleich wenig sagt. Mehr dazu in der nächsten Folge… *ominöses zauberkugelgeräusch*
28. Februar 2019 um 22:42
Ja, der Artikel ist ein bisschen wie aus dem NY Times-Klischeegenerator, was das Weltbild angeht.
Das mit dem Verlust von Eigenheiten stimmt mit Sicherheit, aber das sehe ich eher gelassen, unsere Gesellschaft ist eigentlich relativ stabil darin, charakteristische Zeitprodukte in irgend einer Form zu konservieren und am Leben zu erhalten. Irgendwo in einem stillen Kämmerchen arbeitet bestimmt schon eine Liebhabergruppe daran, den deutschen Dialog unter Naturschutz zu stellen und Generationen von zukünftigen Abiturienten damit zu beglücken, Dialoge aus Marienhof zu analysieren.
Interessanterweise findet die Vereinheitlichung (am Beispiel Netflix) eher innerhalb der Filme statt, während die Zusammenstellung, auch so eine Art Gesamtkunstwerk, sich extrem in die andere Richtung entwickelt. Niemand sieht das gleiche Netflix. In dieser Welt der durchpersonalisierten Angebote könnte ich mir jedenfalls eine Art Identitäts-Hüpfen als sehr reizvoll vorstellen. So wie der Blick ins Bücherregal beim Besuch einer Wohnung. Man müsste sich den Netflix-Account einer komplett anderen Person anschauen können und würde eine völlig andere Konfiguration der Welt vorfinden, andere Filme, die anders beworben werden (die Bilder und Texte, mit denen auf Netflix geworben wird, sind ja auch individualisiert).
Vor kurzem gab es diese Black-Mirror-Episode auf Netflix, bei der man im Film entscheiden konnte, wie es weitergeht, wie in so einer 90er-Jahre-Multimedia-CD. Das kam mir ziemlich anachronistisch vor, insbesondere weil man explizit die Entscheidungen treffen musste. Ich könnte mir eher vorstellen, dass unterschiedliche Zuschauer dann zukünftig auch unterschiedliche Handlungsstränge und Enden sehen werden, aber vollautomatisch. Wenn ich eine erwiesenermaßen kurze Aufmerksamkeitsspanne habe, lässt Netflix eben ein paar Nebenplots weg, und wenn ich mich durch vorherigen Konsum von bestimmten Produkten als Sadist qualifiziert habe, kann man auch mal statt des Happy Ends die feierliche Entsorgung der Serienhauptdarsteller einbauen.
28. Februar 2019 um 11:12
Hallo Alexandra,
wie immer: phantastische Arbeit von Dir, danke!
Was Streamingdienste betrifft, habe ich eine etwas andere Meinung. So wie man früher Musikzeitschriften lesen musste, um auf besondere Musik aufmerksam zu werden, muss man auch heute bspw. Nischenradioprogramm (für mich funktionert bspw. 1Live Fiehe, Byte FM) hören, sich in den entsprechenden Facebook Gruppen (Zu jedem Musikstil gibt es diese) aufhalten oder die Neuerscheinungen bei kleinen Plattenläden verfolgen. Das tolle ist aber, dass die Streaminganbieter mir (fast) alle Neuerscheinungen zu einem sehr fairen Preis verfügbar machen. Wie viel Geld habe ich damals für CDs ausgegeben, die dann in meinen Ohren nicht so gut klangen, wie in denen der Rezensenten aus den Musikzeitschriften! Wer sich heute auf Algorithmen verlässt, ist der Mainstreamradiohörer von gestern!
Eine kleine Chance hat man immernoch, mit der Vereinheitlichung umzugehen: Humor. Als kleines Beispiel diese McDonalds Restaurantkritik:
https://langenfeldisst.wordpress.com/2016/01/06/mcdonalds/
15. März 2019 um 16:18
Hallo Alexandra,
wow, das war mal wieder ein toller Podcast und natürlich ist es wirklich so, dass es bei Deinen Hörern vielleicht auch nur die erreicht, die da ganz ähnlicher Meinung sind. Mir geht es auch so, wenn ich mir “meine” Musik auf Spotify anhöre. Das liegt aber auch daran, dass in den meisten Radiosendern immer wieder die gleichen Lieder abgespielt werden – auch hier wird ja der Mainstream bedient.
Außerdem wird einem eine Authentizität vorgegaukelt, die aber schon wieder gleichgeschaltet und belanglos ist. Diese „Influencer“ auf Instagram sind diejenigen, die mir folgen, weil einer der Hashtags irgendwas mit ihnen zu tun haben könnte. Möglichst noch mit der Aufforderung, ihnen auch zu folgen. Und was sieht man dann: Selfies von schönen jungen Menschen, die überhaupt nichts aussagen.
Auch dem Kommentar von Andreas, dass sich viele Leute nicht mehr trauen, etwas Neues auszuprobieren oder Angst haben zu scheitern, kann ich nur beipflichten. Das ist auch sehr erschreckend, denn so lange man noch für Neues aufgeschlossen ist, lernt man dazu. Und nein, ich glaube nicht, dass das etwas mit dem Alter zu tun hat. Ich bin nicht mehr taufrisch und muss diese Einstellung gerade in meinem Arbeitsumfeld bei sehr jungen Leuten beobachten. Es herrscht auch eine physische und mentale Bequemlichkeit vor, die erschreckend ist. Dagegen gibt es viele älteren Leute, die sich noch so richtig engagieren, Neues lernen und kennenlernen wollen.
Mir ist das in verschiedenen Bereichen aufgefallen. Ich war früher viel im Fitnessstudio und habe dort die Kurse mitgemacht. Da gab es eine große Auswahl an Aerobic-Kursen, die teilweise sehr anspruchsvoll waren, also für Beginner aber auch für Fortgeschrittene. Und da musste man sich halt auch mal eine Choreographie merken und es mehrere Male probieren, bis es geklappt hat. Inzwischen gibt es nur noch Beginnerkurse und auch da fehlt den Teilnehmer die Ausdauer, während die Fortgeschrittenen sich langweilen. Es besteht auch keine Chance, dass die Anfänger irgendwann mal so gut sind, dass das Niveau etwas steigt, weil sie vorher wieder abspringen. Deshalb gibt es inzwischen auch fast nur noch Zumba. Da geht es vor allem darum, die Musik und die Klamotten zu verkaufen und dieses Franchisesystem zu propagieren. Die Zumbamusik war am Anfang auch interessant und spiegelte verschiedene Musikrichtungen wieder. Inzwischen ist es nur noch ein Ballermann-Einheitsbrei, aber den meisten scheint es zu gefallen.. Deshalb warte ich auf bessere Zeiten, aber vielleicht ist das auch zu vermessen.
Dasselbe habe ich jetzt gerade wieder bei einem anderen Thema erlebt. Es gibt da eine Firma die Malabende veranstaltet und Tickets dafür verkauft. Das ist ja an sich nicht verwerflich und niemand erwartet, da nach 2 Stunden als Picasso herauszugehen und wenn man sich nur nett unterhalten hat, ist das auch ok. Aber.. auch das ist so ein Franchise-System, bei dem die Veranstalter gut verdienen, Künstler sich auf niedrigem Niveau verdingen um bis zu 30 Personen innerhalb von 2 Stunden zu ermöglichen, dass sie alle mit dem gleichen Bild nach Hause kommen. Wenn es nicht genug Künstler gibt, werden halt Leute angelernt. Na ja, um beim Schnellimbiss was rauszuhauen, muss man auch kein Koch sein.
Und auch das ist das, was Du, Alexandra, angesprochen hast. Der Konsum wird immer vielfältiger aber die Kreativität bleibt auf der Strecke.
Was ist mit Filmen: wenn ein Film – auch wenn es eine nette französische Komödie ist – erfolgreich ist, wird sofort etwas Ähnliches nachgelegt. Oder für die Amerikaner spielt das dann noch mal in den USA, weil sie sich vielleicht Frankreich nicht vorstellen können.
Aber ich falle natürlich genauso darauf rein wie alle und vielleicht sollte Amazon oder Spotify einmal vorschlagen „Wenn Du das schon kennst, dann probier mal was Neues nämlich…“
Vielen Dank für diese Einsichten und ich lese hier auch sehr gerne die wohlüberlegten Kommentare der anderen Hörer
und Humor ist natürlich auch ganz wichtig, vielen Dank für den McDonalds Restaurantkritik-Link
26. März 2019 um 20:51
Hallo Alexandra, Hallo Kommentarspalte! :)
Kleine Einlassung zur Frage der Streaming-Anbieter
tl;dr: Wie bei sozialen Medien eine Frage des Umgangs. Sie können ihren bewusstseinserweiternden Claim erfüllen, aber machen es einem nicht leicht.
Bedeuten Streaming-Dienste eine Verengung des Horizonts? Ja und nein.
Nehmen wir Spotify. Für mich als Viel-Hörer von Musik, als jemand, der seit den Neunzigern hunderte von CDs und LPs gekauft hat, wurde damals ein Teenager-Traum wahr: All die Musik, von der man nebenbei in den Musikzeitschriften mitbekommen hat, aber nicht stundenlang an den CD-Playern in Mediamarkt probehören konnte, war auf einmal verfügbar!
Der Punkt dabei ist, dass es für mich auch weiterhin nur so funktioniert: Ich inofrmiere mich auf den einschlägigen Websites nach neuen Releases der Woche, speichere mir die vielversprechendsten Alben vor (ja, genau! immer noch vorzugsweise Alben! Nebenbei: Welchen Anteil haben Streaming-Dienste daran, dass Alben seit ein paar Jahren signifikant kürzer geworden sind und gerne nur noch eine halbe Stunde lang dauern? Das war zuletzt in den Sechzigern die Norm!). Und höre sie nach Möglichkeit innerhalb der nächsten Woche durch, bevor schon die nächsten VÖs (der Kenner spricht naTÜRlich in distinguierenden Abkürzungen!) vor der Tür stehen!
Ich habe dabei schon eher das Problem des Überangebots, der Völlerei, des Überkonsums. Schaffe ich es überhaupt, mich der ganzen Musik wirklich zu widmen, die ich da angle? Wird es dadurch schon wieder zu etwas beliebigem? Was ist mit den _growern_, den Alben, die 2 bis 3 Durchläufe brauchen, bis man sie wirklich – und dann umso mehr – liebt? Nun, die gibt es immer noch. Sie haben es nur zugegeben schwerer, werden schneller verdrängt, tauchen nach Monaten wieder in der Liste auf, wenn man halb gelangweilt, halb überfordert durchscrollt.
Tatsächlich habe ich über Streaming Künstler, ja ganze Genres berührt, die ich sonst nie erschließen könnte. Aber, und das ist der große Haken, dazu brauche ich immer die Indizierung von außen. Von Releaselisten. Von Freunden. Von Rezensionen. Aus dem Feuilleton. Die Algorithmen versagen jämmerlich, weil sie nicht darauf ausgerichtet sind, neues kennenzulernen. Es geht scheinbar fast immer nur um mehr-vom-Gleichen.
Nun gut, wie soll die Maschine auch wissen, wenn mir während entspannter Electronica auf einmal nach Black Metal oder Irgendwie-Jazz ist? Da muss ich mich dann schon selbst durchklicken. Fair enough.
Aber das mir Spotify andererseits 6 Mixtapes anbietet, die es mir seiner Meinung nach mit meiner Lieblingsmusik ausstattet und es dabei monatelang nicht für nötig erachtet, auf einem dieser Mixes mal die Inhalte auszutauschen (nicht nur das gleiche Genre, nein sogar die gleichen paar Handvoll Artists und von denen dann natürlich die üblichstverdächtigen Songs!) empfinde ich schon als persönliche Beleidigung. Kennen wir uns etwa nach all den Jahren immer noch nicht richtig? Hört es mir denn nicht zu, wenn ich zuhöre?
Besser noch: Seit kurzem versteigt sich die App darin, mir fröhlich zum Wochenstart Alben per Vorblendung zu bewerben, die ich schon freitags zuvor gespeichert und gehört habe. Auf der gleichen Plattform, auf dem gleichen Gerät. Das ist dann schon noch dusseliger als Amazon, das Dir nach dem Kauf eines Kühlschranks gleich einen zweiten empfiehlt. Für letzteren könnte man sich immer noch Zusammenhänge konstruieren, in denen das Angebot Sinn ergibt. Vielleicht war der erste Kühlschrank doch nicht so gut, vielleicht will man noch einen für den Keller. Aber der gleiche TItel? Falls man vergessen hat, dass man ihn schon kennt oder wie?
All diese Dilemmata sind tatsächlich nicht singulär für Spotify. Apple Music kämpft bei mir gegen die gleichen Windmühlen. Am Anfang beginnt es ganz vielversprechend mit wilder Auswahl an Vorschlägen. Aber sobald man die ersten Tracks gefavt hat, ist es sehr schnell sehr eifrig dabei, garantiert gefällige Paralleltitel zu apportieren. Schade. Zumal es durch meine lange Zeit bei Spotify meinen musikalischen Schwerpunkt aus der seit Jahren ausgedünnten iTunes-Bibliothek heraus schlussfolgert und mich notorisch auf 90er und 00er Alternative Music festnagelt.
Dass etwas in mir diesen Satz zu „…und das beste von heute“ vervollständigen will, trifft wahrscheinlich einen wahren Kern. Alles strebt danach, zum maßgeschneiderten Formatradio zu werden. Und damit letztendlich wieder zum beliebigen Dauerhintergrundgeräusch. Das Äquivalent dazu findet man auf Netflix in vielen Serien, bei denen eine Staffel gut und gerne auch in einem 90minütigen Film hätte erzählen können und wenn man zwischendurch beim Bingen eine halbe Stunde lang nicht so richtig aufpasst, kommt man also schnell wieder hinterher.
Lost in paradise – Was heißt das jetzt im Allgemeinen? Man KANN aus den Diensten einen Mehrwert ziehen. Man KANN sie nutzen, um unglaublich viele Dinge auszuprobieren. Man BRAUCHT aber immer Guidance, und genau da versagen sie. Sonst schlingert man wie in einer unbekannten Stadt von großem Gebäude zu großem Gebäude, auf der Suche nach etwas Sehenswertem und verpasst dabei all die kleinen versteckten Wundersamkeiten.
Hier liegen die wahren Filter Bubbles, die den sozialen Netzwerken gerne unterstellt werden.
27. März 2019 um 09:26
Das Auseinandersetzen kann jeder üben! Im kleinen anfangen.
Du kannst das auch. :-) Sollten möglichst viele machen.
Mir hilft dabei der Leistun Leitsatz “Willst du Recht behalten oder in der Sache voran kommen?”. Es gilt die eigenen Ansprüche kurzzeitig zurück zu nehmen und sich auf das Gegenüber ein zu lassen. Mit guten Beispiel voran gehen, dann wie auch das Gegenüber Mal zuhören.
Mir gefällt deine Aussage zur geglaubt Alternativlosigkeit des Kapitalismus.
Ich versuche aufzuzeigen, dass es zum einen keine dichotomotische Beziehung zwischen Kapitalismus und Sozialismus gibt. Die Jahrzehnte des kalten Krieges lassen uns glauben, dass wir nur eine binäre Wahl haben. Dabei liegt der Teufel im Detail.
Zum anderen, dass genau dieses Detail in unserem Geldsystem liegt. Und auch das nicht alternativlos und nur eine vor vielen Varianten ist.
Vielen Dank für die interessante Unterhaltung soweit.
Mach so weiter.
17. April 2019 um 09:30
Hallo,
ich denke mit den Streaming Platformen hast du recht. Insbesondere ist mir aufgefallen das sich Fast alle Netflix Produktionen als Liebesfilme/Serien rausstellen. Sehr häufig wird das Szenario SciFi oder Banküberfall nur Missbraucht um eine Vielfalt zu suggerieren, aber am Ende geht es nur um die Beziehung von zwei Menschen.
12. Mai 2019 um 23:15
Sorry, aber das Beispiel mit dem Tristan-Akkord und der 12-Ton-Musik stimmt so nicht. Wagner hat mit dem Tristan-Akkord eher die Moderne vorweggegriffen. Dadurch, dass er eben einen Akkord ohne Auflösungstendenz und ohne eindeutig Dur oder Moll zu sein verwendet hat. Im Barock, der Klassik oder Romantik eher die Ausnahme statt die Regel – aber in der Moderne kein Problem.
Und mit der Zwölftontechnik stehen dem Komponisten alle Mittel zur Verfügung, die auch mit der “normalen” tonalen Komposition verwendet werden – nur eben das alle 12 Töne gleichberechtigt verwendet werden [müssen]! Im Gegensatz dazu fallen bei einer normalen tonalen (harmonischen) Komposition die ganzen nicht-diatonischen Töne raus. Vielfalt sieht definitiv anders aus. Ich glaube es war Schoenberg der das Komponieren mit Dur und Moll (also tonal, harmonisch) als “reaktionär” bezeichnet hatte …
Also egal ob [freie] Atonalität, Zwölftonmusik oder Free Jazz – alles ist weniger bzw. überhaupt nicht reglementiert im Gegensatz zu der Komposition in Barock, (Wiener) Klassik oder Romantik!
Und seit Throbbing Gristle, Genocide Organ und den Einstürzenden Neubauten ist Krach auch als musikalischer Ausdruck jenseits der verkopften Kunstmusik (Musique Concrete) angekommen. In der Hinsicht IMO ein echter Zugewinn an Pluralität und Ambiguität.
Allerdings führt Alex Ross (“The Rest is Noise” – lesenswert!) auch an, dass das Publikum (der “Mainstream”) zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in dem die Atonalität und später dann die Zwölftonmusik aufkam, wesentlich mehr daran gewöhnt war, atonale/dissonante Klänge zu hören. Heutzutage kann man das ja keinem im Mainstream mehr zumuten – aber Japan Noise oder Industrial findet man vielleicht auch auf Spotify …? ;-)
16. Mai 2019 um 22:12
Ein Hörtip, passend zum Thema:
“Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams”
https://tellmeahistory.net/tmah005-die-kultur-der-ambiguitaet-eine-andere-geschichte-des-islams/
Schon etwas älter, von 2016, aber eine spannende Folge eines großartigen Podcast über die Geschichte des Islam. Bisher in 17 Episoden, jede hörenswert.
23. Juni 2019 um 11:58
Diese Folge enthielt viele Fremdwörter, war etwas schwierig zu folgen.